Der Zwang treibt uns – Raum schränkt uns ein. Ist das so?

Bereits Sigmund Freud untersuchte einst das Charakteristikum des Zwangsdenkens und der Zwangsvorstellung. Aber nutzen wir das Wissen darum, verstärken unsere Denkenergie und lösen wir uns davon.

Vielleicht gelingt es so, Raum und Zwang zu überwinden?

Uwe Schloen ist ein Reisender. Ständig unterwegs, zieht sich ein Band der von ihm geschaffenen Bleibushaltestellen quer durch Europa, eine Landschaftsintervention, von Luxemburg bis ins Baltikum. Reisen als Überwindung des Raumes, die große Freiheit. Und immer wieder Koffer. Abgestellt. Als Symbol des Reisens und als Metapher für das Bleibenwollen, wie Dr. Veronika Wiegartz vom Bremer Gerhard-Marcks-Haus anlässlich einer Vernissage ausgeführt hat.

Der Künstler arbeitet gerne in der Tradition von Joseph Beuys mit ungewöhnlichen, „unedlen“, unbeachteten Materialien, gemäß der Beuys‘schen „Plastischen Theorie“, der zufolge Plastiken nichts Statisches sind, sondern ein Prozess, der Bewegung impliziert und sich zwischen zwei Polen abspielt: einem chaotischen und einem geformten. Trash als triviales Motiv zog Ende des 19. Jahrhunderts als Begriff für Kitsch und Schund in den Kunstmarkt ein. Auch Beuys kann mit seinen Arbeiten wegen der „untypischen“, von ihm verwendeten Materialien als Vertreter dieser Kunstrichtung bezeichnet werden. Den Arbeiten, die sich mit Trash beschäftigen, liegen aber zumeist gesellschafts-, kapitalismus- oder konsumkritische Subtexte zu Grunde. So hat Uwe Schloen mit seiner Lust am Trash auch das Blei als ungewöhnlichen Werkstoff für sich entdeckt.

Blei veränderte einst die Welt genauso wie das Schwarzpulver. Blei, ein weiches, formbares Schwermetall, wird seit dem Altertum für Bildwerke benutzt. Arbeiten mit Blei sind immer wieder Thema in der Kunst. So benutzte auch Richard Serra, einer der bedeutendsten Bildhauer der Gegenwart, Blei bei seinen urbanen Skulpturen. Blei schützte einst Dächer von Schlössern, Burgen und Kirchen. Wieder eingeschmolzen diente es als Munition. Nunmehr gilt es als unbeachtetes Material, verschwindet aber aus dem Stadtbild nicht vollkommen, da es als Regenrinne, Dachabschluss, Traufe weiterhin dient. Es ist giftig und wird oft verteufelt, missachtet und gilt als unedel. Anders bei Uwe Schloen, er erhöht das bereits gebrauchte Blei, legt seine Gebrauchsspuren offen, ist angetan vom weißen Bleioxid, das sich bei seinen Objekten schützend um die innere Form schmiegt. Es entstehen unvollkommen scheinende, unser ästhetisches Empfinden provozierende Skulpturen. Um diese Skulpturen schaffen zu können, bedient sich Uwe Schloen der bereits mit einer Aura versehenen Bleifolien, die er auf Deponien findet. Folien – stets dünner gewalzt als Bleibleche -, voller Geschichten erzählender Gebrauchsspuren, geglättet und in einen neuen Kontext gesetzt.

So werden Quader zu Figuren, gestapelte Bleiplatten zu Skulpturen. Alles in Bewegung, Veränderung, Überwindung von Raum und Zeit. Überwindung von Zwängen – frei!

Während jedoch bei flüchtiger Betrachtung der Trash im Vordergrund zu stehen scheint, so wird doch der aufmerksame Rezipient eines Besseren belehrt. Akribisch setzt Uwe Schloen seine Entwürfe um. Dem Zufall wird nichts überlassen. So bezeichnet ihn Yvette Deseyve vom Gerhard-Marcks-Haus als „konkreten Konzeptionisten“. Als Künstler ist Uwe Schloen omnipotent – er ist Maler, Illustrator, Bildhauer und Autor gleichermaßen und somit schlicht: ein Künstler.

Seinen Skulpturen gibt Uwe Schloen Titel, die dem Betrachter die Möglichkeit eröffnen, eigene Interpretationen zuzulassen. Er möchte keineswegs einengen, vielmehr möchte Uwe Schloen den Geist der Besucher anregen, damit diese eigene Zwänge überwinden können, und das geschieht mit viel Humor und Tiefgang. Der Kunsthistoriker Dr. Till Richter vom Museum Schloss Buggenhagen – Mitautor des Buches „Uwe Schloen – Sculpture“ – spricht über den Humor des Künstlers: „Wäre sein Humor Wein, käme er aus einer trockenen Hanglage.“ Ein zutreffendes Kompliment!

In der Ausstellung „Raum und Zwang“ zeigen wir figurative Blei-Skulpturen von Uwe Schloen, der im Calenberger Land kein Unbekannter mehr ist, da er in den Vorjahren im Kunstverein Barsinghausen bereits andere Arbeiten ausgestellt hat und in der Galerie per-seh Zeichnungen und Collagen zeigt. Der aus Bremen stammende Künstler gehört zu den Allroundern, hier zeigen wir eine weitere Facette seines Œu­v­res. Die Ausstellung lädt ein, sich seine eigenen Geschichten zu den Skulpturen herzuleiten, die Beziehungen der einzelnen Arbeiten zueinander, zum Garten und den anderen Künstlern zu erahnen und herzustellen und sich auf die narrative Komponente der Werke einzulassen. Sichtachsen entstehen über den Garten hinweg. Einiges erschließt sich erst bei näherer Betrachtung und nach einem Perspektivwechsel. Anders als in geschlossenen Galerieräumen werden gewollt andere Eindrücke entstehen, die viel mehr vom Zufall, Wetter, Geräuschen, Düften geprägt sind.

Die Ausstellung „Raum und Zwang“ im „Garten Pristin“ fordert Künstler und Besucher gleichermaßen heraus. Es gilt, Raum und Zwang als Chance zu betrachten. Reisen als Überwindung des Raumes, und damit dem Zwang entsagen, an einem Ort zu bleiben. Keine Verortung zuzulassen. Dies bedarf keiner physischen Möglichkeit, vielmehr sind die in jedem innewohnenden psychisch-mentalen Fähigkeiten – die des Betrachters ebenso wie die des Künstlers – nötig, um dieses Potenzial auszuschöpfen.

Die von Uwe Schloen in der Ausstellung gezeigten Werke kommen bedrohlich, heiter oder unauffällig daher. Sie entsprechen nicht den üblichen Sehgewohnheiten. Aber eines sind sie ganz sicher: nicht banal.

 

Sabrina Buchholz

Galerie per-seh

 

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