Zur ambivalenten Kunst von Ulrike Donié

In den Bildern von Ulrike Donié begegnet man einer fremden Welt und zugleich einer ungewohnten Malerei. Beim intensiven Betrachten und Durchlesen dieser Welten kann es passieren, dass man von den vielen Details, von den Farbnuancen und dem Gesamtgeschehen beinahe berauscht wird. Die Bilder schlucken einen geradezu, sie können die Sinne hinunter- oder hinaufziehen, und bei den Gefühlen ist es nicht viel anders. Meist tritt man ahnungslos vor diese Bildwelten, dann kann man orientierungslos werden und bleibt schließlich sprachlos. Bevor man die Frage danach stellt, wie man das Ganze beschreiben, benennen und deuten soll, fragt man am besten, was man eigentlich sieht.

Man schaut auf und in eine unvertraute Welt, die zwischen unheimlicher Bewegung und stillem Zustand eine merkwürdige Balance zu halten scheint. Da sind dunkle Löcher und Tiefen, dort tun sich helle Flächen und Lichter auf. Dort herrscht geheimnisvolles Schweigen, hier quirliges Geschehen. Einmal entfaltet sich Leben, ein anderes Mal stirbt es ab. Bisweilen scheint Harmonie vorzuherrschen, doch dann beobachtet man Gegensätze und Kampf. In einer Situation entwickeln sich Organismen, in der anderen verenden sie oder werden vernichtet. Mal findet der Kreislauf sichtbar an der Oberfläche statt, mal ist er in den geheimnisvollen Tiefen nur zu ahnen. Jetzt versucht man noch für diese im Bild gemachten Erfahrungen eine rationale Begründung zu finden, doch gleich ist man in die unterschiedlichen Bildwelten eingesaugt. In einem Bild blendet den Betrachter das Licht, im nächsten bedrückt ihn die stumpfe Undurchdringlichkeit. Die sinnliche Wahrnehmung und die affektiven Regungen fahren mitunter geradezu Achterbahn, will heißen: Die Bilderzählungen sind nicht klar erfassbar, die agierenden Elemente nicht exakt benennbar, die Bildräume nicht präzise definierbar und die Botschaft nicht deutbar. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick, wie man regelmäßig beobachten kann. Zu viele Ambivalenzen und Differenzen, zu viele Unsicherheiten und Gefühlsschwankungen sind da im Spiel. Keine Frage: Man muss sich an diese Bilder gewöhnen und sich mit den Gefährdungen wie mit den Erfahrungen vertraut machen, fast so als absolviere man seinen ersten Tauchlehrgang.

Mag sein, dass viele Erst- und Wiederholungsbetrachter dieser Bilder zwischen der Vorstellung, hier sei Realität beschrieben, und der Vermutung einer reinen Fantasiewelt hin- und herschwanken, mag sein, dass der Biologiekundige ebenso wie der Fantasy-Kenner ihre jeweiligen Argumente in den Bildern finden, doch zweifellos ist es nicht das erklärte Ziel der Künstlerin, Lehrtafeln zur Evolutionsgeschichte zu schaffen, und auch nicht die Absicht, sich in den trendigen Reigen der Welt- oder Überwelterfinder einzureihen. Geht es hier überhaupt um Beschreibung und Detailwissen, oder liegt die künstlerische Absicht auf einem noch unerkannten Feld?

Was man persönlich als Unschlüssigkeit der Bildaussage einstufen würde, oder was man der Malerin als Unentschiedenheit vorhalten könnte, ist erkennbar ein Teil der Bildphilosophie und des Schaffensprozesses von Ulrike Donié. Es geht ihr keineswegs um die Abbildung von Gesehenem, sondern um die Vorstellung von Unsichtbarem, wobei das Unvorstellbare von ihr sichtbar gemacht werden kann. Über alle Fotodokumentationen von Tiefseewelten und über alle archäobiologische Forschungen von der Entwicklung des Lebens hinaus befasst sie sich in ihrer Kunst mit grundsätzlichen konzeptionellen Fragen sowie mit dem künstlerischen Hauptanliegen der Formfindung. Als Malerin kann sie die Realität berücksichtigen, aber sie muss es nicht, als Erzählerin eines Bildinhaltes darf sie frei fabulieren, aber sie muss auch dieses nicht. Das schlägt sich in ihren Werken nieder. Die Künstlerin findet ihre höchst eigenwillige autonome Position in einem Spannungsverhältnis von Wissen und Eingebung, von Beleg und Ahnung. Was ihr gesamtes bisheriges Werk charakterisiert, ist das Ausloten von Ambivalenzen, ist das Spiel mit den Unterschieden und ist schließlich die besondere Begabung, Kenntnisse und Vermutungen in einer stimmigen malerischen Form zusammenzubinden. So scheint den einen die Bildwelt in jeder Weise glaubhaft, den anderen gar unvorstellbar, die einen finden die malerischen Bildäußerungen zutreffend, die anderen halten sie für eine Negierung der Wissenschaft. Die innere Wahrheit der Bilder – und danach sucht die Künstlerin ebenso angestrengt wie unbekümmert – liegt sowohl in der Zwiespältigkeit als auch in der Harmonie von Inhalt und Form. Ihre Bilder begeben sich nicht auf die banale Ebene von Illustration und Dokumentation, sondern arbeiten mit dem für Künstler relevanten Diskurs von Erkundung und Erfindung. In beiden stecken Neugier und Recherche, Fantasie und Risikobereitschaft. Überhaupt kann man die individuelle Kunstsprache von Ulrike Donié nur unter Betrachtung unterschiedlicher Paradigmen analysieren und beurteilen. Zu ihnen gehören die Frage nach dem Verhältnis von Schöpfungsvorgang und Lebenswirklichkeit, der Spannungsbogen zwischen Geborenwerden und Sterben, das Verhältnis zwischen Himmel und „Unterwelt“ sowie die Deutung der Metaphern des Lebens. Da vordergründig nicht Inhalte, sondern die Formsuche ihre Kunstsprache und Handschrift bestimmen, muss auch das Verhältnis der Stile – Realismus, Abstraktion, Surrealismus – sowie die Symbolsprache betrachtet werden. Der sinnlich klar wahrnehmbare Gegensatz von farblich-formaler Bildharmonie und inhaltlich anders interpretierbarer Mitteilung legt offen, dass die Autorin hier nicht um den oberflächlich schönen Schein oder um ein dekoratives Bildergebnis ringt, sondern dass eine malerisch informelle und redundanzfreie Auseinandersetzung im Vordergrund steht.

Ulrike Doniés Kunst kreist seit einigen Jahren um die gleichen Inhalte und Äußerungsabsichten. Freilich haben sich nicht nur die Formvokabeln, sondern auch die Malweise, die Bildkomposition und die gesamte Erscheinung der Bilder verändert. Waren vor einigen Jahren noch eher weite Binnenflächen von dem typischen Formengut umrundet, so hat sie ihr Formenarsenal in den großen Gemälden zwischen 2007 und 2009 zu verschlungenen, mitunter dschungelartigen Bildpartien weiterentwickelt. Die Kompositionen wurden dichter, kleinteiliger und großflächiger oder in den Einzelelementen massiver bzw. im Bildganzen dominanter. Diese Schaffensphase wurde von einem Formengut bestimmt, das zwischen Schweben und Lagern, zwischen urzeitlicher Erscheinung und aktueller Beobachtung stehender Gewässer anzusiedeln war. Wie zahlreiche Bildbereiche dieser Phase sind auch die aktuellen Bilder von Lebensformen gefüllt, die an Algen, Korallen, moderndes Astwerk und nicht bestimmbare Pflanzen, an Verpuppung und Ablagerung denken lassen. Was sich in den früheren Bildern zumeist noch in definierbaren Bildpartien, um Bildachsen und in differenzierten Raumstrukturen abspielte, hat die Malerin aktuell oft zu ganz dicht vermengten Gesamtorganismen weiter gebildet. Da sind beispielsweise in dem Bild 1559 massive blaue Rundformen, die an Selleriewurzeln erinnern, und rettichartige Gebilde sowie grüne zucchiniartige Objekte und viel grünes bzw. rötliches Wurzelzeug. Das bestechende Bild integriert botanisch nicht exakt bestimmbare Pflanzen- und Fruchtarten neben einer ungeordneten überquellenden Ansammlung von Amorphem. Durch die farblich geschickt behandelte Beleuchtung, durch die beinahe über Kreuz angelegten Farben Blau, Grün und Rot erhält diese eher chaotische Situation eine faszinierende Strahlkraft. Anscheinend lustvoll hat die Malerin an der Körperlichkeit und dem das Bild bestimmenden Gegensatz von monumentalen Kugelkörpern und tentakelartigem Linienwerk gearbeitet. Durch die formale und malerische Fantasie wird eine anarchische Gemengelage zu einem betrachtenswerten Stillleben. Man möchte dort zwar nicht ausruhen, aber dennoch das Bild lange ruhig betrachten. Eine Ansammlung ähnlicher Wesen, die nach ihrer Erscheinung Frucht, Wurzel oder irgendein Urtier sein könnten, begegnet uns in 1562. Das genaue Studium von Farbschichten und Malweise – nämlich eines besonders lasierenden, transparenten Farbauftrags in der obersten Schicht – erklärt unmissverständlich, dass hier Wasser gemeint ist. Was wie eine vergrößerte Untersuchungsaufnahme erscheint, ist der Imagination der Malerin zu verdanken. Es ist keine Frage, dass das Bild bei aller Fremdheit zweifellos schöne Partien in den Details und Farben trägt. Wie in einem hell angestrahlten Aquarium oder unter einer Scheinwerferbeleuchtung im offenen Gewässer wirkt das Ensemble in 1565, das schalenartige, wurmartige, ringartige und streifenartige Unterwasserwesen versammelt. Prima vista erscheint eine solche Malerei wie eine Makroaufnahme bzw. wie der Befund unter einem Elektronenmikroskop. Die außerordentliche Bildschärfe an manchen Stellen verträgt sich durchaus mit einer verwischenden Malerei an anderen. Gemeinsam ist allen diesen so unterschiedlichen Farbsetzungen, dass sie eine in jeder Weise kraftvolle Malerei offenbaren. Sie lebt ganz aus sich heraus. Schaut man sich diese drei herausgegriffenen Bilder im Zusammenhang an, so kann man das besondere Interesse der Autorin an eher unangenehm wirkenden und zugleich neugierig machenden Gebilden ebenso herauslesen wie die Leidenschaft, neue Formen, Pflanzen und Welten zu erfinden. Kreativität hat in dieser Art von Malerei sozusagen einen doppelten Boden. Wir halten uns hier mit unseren Augen in unwirtlichen, aber zugleich als üppig apostrophierten Welten auf. Es ist erlaubt, an die Geburtszeiten frühesten Lebens auf unserem Planeten zu denken, und es ist – durch immer neue wissenschaftliche Erkundungen und Entdeckungen – auch durchaus vorstellbar, dass sich solche Arten von Biotopen an unzugänglichen Stellen erhalten haben könnten. Dennoch ist das alles eine Fiktion, sind das Räume und Populationen, die in der Fantasie der Malerin siedeln. Merkwürdig ist das Gefühl, dass sie Teile sowohl eines paradiesischen als auch eines chaotischen Zustandes spiegeln, in dem der Lebenszweck der Fortpflanzung und ein pausenloser Überlebenskampf zwischen Pflanzen und Lebewesen sowie unter den Lebewesen symbiotisch abliefen. Für Rückzug und Tarnung, für Nahrungssuche und Angriff bieten die leidenschaftlich gemalten Bilder viel Platz. Das instinktgetriebene Prinzip des „Fressen oder gefressen Werdens“ spielt sich in den Bildern vor schönfarbigen Kulissen ab, die neben Meer auch Himmel suggerieren. Diese Ambivalenz trägt auch ein anders Bild, das mit seiner diagonal orientierten Komposition, mit seinen sanften Farben und dem wilden, beinahe barocken Farbauftrag an die Deckenmalereien der Barockkirchen und Schlösser denken lässt. Besonders dieses Bild lässt den Farbauftrag in seinem auffallenden Kolorit, in seiner illusionistischen räumlichen Schichtung und in der Heftigkeit der Pinselführung bis in die Details hinein verfolgen. Es verweist noch einmal stark auf die – um Jahre zurückliegenden – Bilder Doniés mit den eingebundenen Tiefen und Himmelsweiten. Diesen im Ansatz träumerischen, rokokoartigen Akzent hat sie in die aktuelle Phase mit hinüber genommen. Einen ähnlichen, noch stärker verwischten Farbauftrag, der die groben Formen fast zur Seite zu drängen scheint, können wir in dem Bild 1589 studieren. Ohne detaillierte Formbeschreibung entladen sich hier informelle Malerei und Action Painting. Fast sieht es so aus, als breche stürmische Zartheit monumentale Formen.

So wandeln sich die Bildwelten, die Gründe und die Lebensräume, die Strömungen und Bildachsen von Werk zu Werk. Atmosphärisch dichte Arbeiten voller Poesie stehen neben turbulenten Ereignisbildern, in denen Pflanzen, Lebendes und Abgestorbenes, Urwesen und Elemente übereinander herzufallen scheinen. Diese beiden Pole können auch – wie im Bild 1604 – in Hemisphären aufgeteilt nebeneinander existieren. Ganz beunruhigend sind Arbeiten wie 1607, in denen die zartfarbige Malerei, die man noch oben links als von rechts kommend ahnen kann, vom wilden Wassergestrüpp überwuchert wird. Hier leben sich surreale Vorstellung und wilde Malerei in vielen denkbaren Durchdringungen, Überlagerungen und Verwischungen aus. Das Ringen um eine gewisse Räumlichkeit, um eine beinahe paradoxe Beschreibungsgenauigkeit nie gesehener Welten und um das zerstörerisch wirkende In- und Übereinanderbrechen der Formen hat ein Bild formuliert, das an reines Informel erinnert.

Die Bandbreite der Formulierungen reicht im bisherigen Oeuvre von Ulrike Donié von nervöser Kleinteiligkeit und grellen Farben bis zu einem großzügigen Strich und getragener Farbigkeit. Wenn man so will, mag man hier von einer Dur- bzw. Moll-Malart sprechen. Das Bild 1616 zeigt eine von den bisher besprochenen Bildern abweichende Malweise. Sie hängt auch damit zusammen, dass kraftvolle Übermalungen vor allem im roten und grünen Farbbereich ursprüngliche Kleinteiligkeit verdecken. Reste davon sind noch unten rechts zu sehen. Wie wehende, fast schemenartige Wesen legen sich die großen Farbbahnen durch das Bild. Die Pinselstriche lassen die Malbewegungen und den Bildprozess fast durchgehend minutiös nachvollziehen. Wir beobachten die Autorin bei mehrfachen Veränderungsansätzen der Komposition, bis sie schließlich in der obersten Bildschicht mit den drei in verschiedene Richtungen schwimmenden Kopffüßern einen entscheidenden Schlussakzent setzte. Mit dieser Darstellung der für das Erdmittelalter nachgewiesenen, hoch organisierten Weichtiere, die räuberisch lebten, lässt die Künstlerin unsere Augen das Bild sozusagen ausmessen, indem die Schwimmrichtung die Leserichtung im Bild und aus dem Bild hinaus vorgibt. Immer wieder bieten sich solche Beobachtungen an, die geradezu vorführen, wie Ulrike Donié sich in den Malprozessen selbst Raummuster, Dimensionen und Bildüberschreitungen erarbeitet. So beschränkt sie auch für den Betrachter den Blickwinkel und die Assoziationskraft nicht auf das jeweils vorgegebene Bildmaß. Das Bild ist eben stets nur ein Ausschnitt, die minimale Sicht auf gewaltige, schier endlose Abläufe. Das nur ansatzweise zu begreifen, reichen alle Bilder nicht aus. Provokant erklären sie aber, dass die Fantasie weiter reicht als alles Wissen.       

Am Beispiel des Triptychons 1598 lassen sich ein typisches breitflächiges Kompositionsprinzip und die Detailgestaltung in einem der Bildfelder gut beobachten. Der oval orientierte Gesamtaufbau trägt in den oberen Winkeln optisch und statuarisch strengere Formen als in der unteren gesamten Bildbreite, die eher von einem quirligen Gewimmel besetzt ist. Totholz, Kopffüßer und allerlei Gewürm drängen sich in dichter Lagerung, die sich zu den Seiten hin etwas auflöst. Um das Oval dominieren gekrümmte und wulstige Körper, neben Weichtieren vielleicht Hinweise auf Algen und Holz. Die Farbgebung entwickelt sich von der linken Seite her von einem leichten Blaugrün über ein kaltes Blau zu einem durchsetzten Blau-Rotrosa und changiert weiter nach rechts wieder ins schwebende Grün. Das Mittelbild durchlebt eine ähnliche Veränderung der Farbe von unten nach oben, wobei die von Form- und Farbpartikeln durchsetzte Fläche durch ein bestechend intensives Kolorit besonders wirkt. Eine stärker werdende Auflösung beschreibbarer Formen weckt die Vorstellung von Entmaterialisierung, denn sie ähnelt Dunst und Nebel, wird zu einer glutvollen Wolke und verebbt zunehmend. Bei diesem Farbenspiel darf die Frage, ob aufgewühlter Grund, ob Lichtbrechung, ob Farbabsonderung ursächlich sein können, unbeantwortet bleiben. Solche Partien sind ein Beispiel für reinste informelle Malerei, sind für die Betrachter zugleich Teilhabe am sinnlichen Vergnügen des Malprozesses. Auch in den anderen Triptychen kann man diese eigenwillige Handschrift von Ulrike Donié gut nachvollziehen, sie bewegt sich zwischen fiktiver Beschreibung und freiem Malakt, sie vollzieht sich mit Temperament und in Versunkenheit.

Dass Malerei Flächenkunst ist und dass die dritte Dimension nur illusionistisch gewonnen werden kann, wird an den großen und kleineren Werken der Malerin sehr deutlich. Sie bekennt sich zur Fläche, arbeitet aber im eher figürlichen Bereich mit den üblichen Mitteln und Methoden der Malerei Tiefen und Volumen heraus, die natürlich Fragen nach den realen Orten, Situationen, Dingen und Wesen aufwerfen. Das aber bleibt bewusst unbeantwortet, da sie ja mit Fiktion und Erfindung experimentiert. So lassen alle diese Bilder auch offen, ob man bei der Betrachtung räumlich von unten nach oben, von vorne nach hinten oder von oben nach unten schaut. Meint beispielsweise das Blau also Wasser oder Himmel, erinnern die Farben an das Lichtspektrum im Wasser oder in der Luft, nimmt man Vorgänge im Wasser oder äußere Reflexe wahr? Auch hier muss wiederholt werden: Es geht nicht um klar definierte Ereigniszonen und nicht um physikalische Beweise, sondern um das ungeheuer weite Feld der Kunst, auf dem der Kreativität der Malerin mit all ihren Kräften und Widersprüchen keine Grenzen gesetzt sind. Zwei Erfahrungen hält sie bereit: Die Vorstellungskraft wird herausgefordert und die sinnliche Wahrnehmung ausgekostet.     

Zusammenfassend kann man in den Bildern von Ulrike Donié geradezu eine Dramaturgie des gemalten Geschehens, der Farben und des Bildaufbaus ausmachen. Es passiert viel, ohne dass man genau sagen könnte, was wem wie geschieht. Zu vielseitig sind die Populationen, die assoziierbaren Bewegungsabläufe, die Potenziale und die Irritationen. Bei aller Schönheit von Form, Farbe und Bildstruktur geht doch eine Beunruhigung von den dargestellten vorgestellten (sic!) Bildwelten aus. Die Malerin schafft variantenreiche Kompositionen, die als Synonyme für die sich nie wiederholenden Situationen in Meerestiefen, Höhlengewässern und Brackwassern gelten mögen, die in sich stimmig sind, obwohl sie kaum stimmen werden. Man wagt sich kaum noch an dieses Wort heran, aber die Malerei zeigt trotz inhaltlich großer Fremdheit und trotz der Überlebenskämpfe etc. einen hohen Grad an Harmonie. Manche Betrachter mögen voll Neugier tiefer eintauchen wollen, andere lieber gleich zurückschrecken – ein Verhalten, das man immer wieder vor diesen Werken beobachten kann. Licht, Leuchten und Sonne stehen gegen Dunkelheit, Unheimliches und Geheimnis, Räumlichkeit gegen Unendlichkeit, Schöpfung gegen Vergänglichkeit, Selbsterhaltung gegen Selbstverzehr. So berühren diese Bilder das Schöne wie das Hässliche, Herbeigesehntes wie Verdrängtes. Gerade der von der gelungenen Malerei zurückgedrängte Charakter des Morbiden verbindet die Sequenzen mit dem Bildthema der „Natura Morta“, die sich seit dem 17. Jahrhundert in zahlreichen gemalten Metaphern zur Vergänglichkeit des Lebens geäußert hat. Ulrike Donié widmet sich diesem Menschheitsthema auf ihre ganz autonome und authentische Weise, indem sie rational wie emotional aus Erforschtem und Erfundenem Kompositionen erarbeitet, die über die instinktiv gesteuerten Bildereignisse wie Kampf, Flucht, Tod etc. Visionen einer geheimnisvollen Ästhetik und großer Ausgewogenheit legt. Ihre Bilderserien und Einzelwerke – die im Übrigen oft beim Hören der Musik von Bach, Händel und vor allem der Opern Wagners entstehen – konfrontieren auf anspruchsvolle Weise mit den unangenehmen Themen von ständiger Gefährdung und endlichem Tod. Vor allem aber lenken sie das Denken und die Empfindung auf die Gewalt der Schöpfung und sprechen damit ganz unprätentiös von Gott.           

 

Prof. Dr. Frank Günter Zehnder