Denken wir an Keramik, denken wir gegenständlich – denken wir gegenständlich, denken wir an Gebrauchsgegenstände, Gefäße, Vasen, Tassen… Denken wir an gebrannten Ton, denken wir an Glasuren. Aber dass das nicht zwingend zusammenhängt, zeigt uns Renate U. Becker mit ihren eindrucksvollen Werken seit Jahren. Ihre Skulpturen erheben sich über eindeutige Gestalt und Funktion. Abstraktion und Assoziation versetzen uns in eine Gefühlswelt, die archetypisch und allgemein gültig daherkommt. Diese Arbeiten beruhen auf einer allgemeinverständlichen interkulturellen Formensprache.

Spannung steht neben Harmonie, die Symmetrie ist aufgehoben. Renate U. Becker zieht ihre Inspiration aus dem Zauber, den antike Darstellungen, Ruinen oder farbige Scherben bei ihr auslösen. Mit Leichtigkeit schafft sie es, uns in den Bann ihrer außergewöhnlichen Formensprache zu ziehen. Gleichwohl haben die Skulpturen eine eigene Leichtigkeit, die die Schwerkraft zu überwinden scheint. So steht neben der irdenen Materialität eine spirituell anmutende Ausdrucksweise, die beim Betrachter eigene Inspirationen freisetzt.

Diese Urformen lassen in uns Ahnungen erklingen von mythologischen Zusammenhängen der ägyptischen Altertümer, südamerikanischen Tempeln oder griechischen Grabbeigaben. Seltsam fremd und gleichzeitig vertraut, lassen sie in uns Erkenntnisse von größeren Zusammenhängen reifen. In der Reduktion der Formen liegt eine zeitlose Kraft, die durch die universale Sprache des Ausdruckes mit uns kommuniziert.

Dabei sind die von Renate U. Becker geschaffenen Brüche Brüche im wahrsten Sinne des Wortes. Mit aller Kraft wird der kompakte Tonblock bearbeitet. Dabei wird gequetscht, behauen, geschunden. Diese Krafteinwirkungen verformen die Grundform und führen zu Aufbrüchen im Material. Die Bearbeitungsspuren sind deutliches und bewusstes Ausdrucksmittel. Die aufbrechenden Ränder oder Vertiefungen in den Oberflächen bleiben als Stilmittel bestehen und zeugen von dem Ringen um die perfekte, aber nicht um jeden Preis geglättete Form. Es entsteht ein formales Wechselspiel zwischen kantigen, rauen und abgerundeten Formen.

Der künstlerische Schaffensprozess kommt nahezu organisch daher, durch die Bearbeitung brechen die innewohnenden Emotionen buchstäblich aus den Formen heraus. Die so geschaffenen Skulpturen nehmen sich durch ihre Plasti­zität ihren eigenen Raum. Sie kommen selbstbewusst, kräftig und aufrecht daher. Sie gehen keine geschmäcklerischen Kompromisse ein, sondern fordern den Betrachter mit ihrer Direktheit und Kraft zu einer eigenen Stellungnahme.

Die besondere Brenntechnik des Raku, die vor mehr als 500 Jahren in Japan ihren Ursprung fand, begünstigt diese Ausdrucksweise. Durch den Entstehungsprozess des Raku-Brandes wird die Skulptur extremen Temperaturschwankungen ausgesetzt. Es kommt zu feinen Rissen, die der Qualität der Skulptur keinen Abbruch tun, sondern vielmehr den Charakter verstärken. Durch den Einfluss von Feuer und Wasser und unter Zugabe von verschiedenen Metallsalzen entsteht eine unverkennbare Farbgebung. Durch den plötzlichen Temperaturschock, wenn die Skulptur den Ofen rotglühend verlässt und in Laub, Späne oder Gras gebettet wird, entsteht der typische Krakelee-Effekt. Durch die Beherrschung dieser vielen, nicht direkt steuerbaren Einflüsse während des Arbeitsprozesses zeigt sich die Meisterschaft der Künstlerin.

Die jahrelange Beschäftigung mit der bildhauerischen Formensprache der Reduktion findet ihren Ausdruck in der Kargheit der Formen. So entstehen nicht reproduzierbare Einzelstücke von einzigartiger Schönheit, die die besondere Handschrift der Künstlerin tragen. Die außergewöhnliche Farbigkeit unterstreicht die herausragende Formensprache und ergänzt die Schlichtheit der Formen.

Sabrina Buchholz