„Ich habe mir […] an der Wand über meinem Schreibtisch eine Stelle ausgespart, an die ich nichts hänge, vor die ich nichts stelle, dreißig auf vierzig Zentimeter, das ist nicht viel. Aber wenn ich aus meinen Händen einer Art von Fernglas mache, sehe ich nichts anderes als diese leere Stelle, das herrliche Nichts."1

Mit den Händen ein Fernglas formen, um den Blick zu konzentrieren. Dieser konzentriert sich auf das „herrliche Nichts“, einem bloßen Ausschnitt der Zimmerwand. Dort kann sich der Blick sammeln und die Welt der Dinge neben sich lassen; 30 x 40 Zen­ti­meter reichen dafür aus.

Bei Frank Tangermanns Malereien sind es Kreise, welche den Blick auf sich ziehen. Auf schwarzen, weißen oder magentafarbenen Leinwänden sind in wohldurchdachten Anordnungen schwarze oder weiße Kreise zu sehen, auch Orangefarbene sind gelegentlich zu erblicken. Dabei grenzen sich die Kreise durch harte Konturen vom Bild­grund und auch von den anderen Kreisen ab. Jeder ist für sich und doch bilden sie zusammen eine kompositorische Einheit. Durch ihre Exaktheit können sie das Auge blenden, indem es nicht mehr zu erkennen vermag, ob es digitale Kunst oder von Men­schenhand Gemaltes sieht. An be­stimm­ten Stellen leuchten die oftmals vielfach übermalten Kreise oder reflektieren eine sich scheinbar außerhalb des Bildes befindende Lichtquelle – der Blick richtet sich darauf und versucht zu ertasten, ob die Materialität der Kreise bloße Acrylfarbe, Holz oder Metall sein mag. Der Blick ruht, flaniert und manchmal hastet er auch über diese Kreise, zuweilen verliert er sich in den entstehenden Bildtiefen. Denn mit andauerndem Schauen verändert sich der Blick auf die Arbeiten und zugleich der Blick auf den Blick. Frank Tangermanns Bilder sind Einladungen zur Reflexion des Sehens und zu einem Schauen auf die inhaltsfreie Auf­merksamkeit.

Die Bilder der Serie „Kreise“ zeigen mehrere vom Bildrand her betrachtet kleiner werdende ineinander gemalte Kreise. Sie um­kreisen einen inneren Kreis – eine „leere Stelle“ die das Auge in die Tiefe zieht. Ein dreidimensionales Sehen wird möglich, indem die Kreise an Dynamik gewinnen und zu vibrieren beginnen.

Eine weitere Serie zeigt auf schwarzem Grund hauchdünne, sich berührende Kreis­sil­houetten. Die strahlenden Kreisränder schei­nen sich nur für einen Moment zu zeigen bis sie wieder im Schwarz, dem „herrlichen Nichts“ verschwinden. Der Blick ergründet, wie aus diesem bloßen Schwarz filigrane, weiße Kreislinien heraustreten können und wie dadurch eine raumlose Räumlichkeit erscheint.

Neben der Befragung von Seh­kon­ven­tio­nen und der Ergründung von Blickräumen er­öffnen die Bilder Frank Tangermanns schließlich auch die Frage nach der Visu­ali-sierung von Klangwelten. In der Burchar­di­kirche in Halberstadt wird seit 2001 bis 2639 das Orgelstück Organ²/ ASLSP von John Cage aufgeführt; Jahrhundertlang werden der Komposition Cages entsprechend Orgeltöne erklingen. Mit diesem Stück setzt sich Frank Tangermann auseinander, indem er den Dauerton an sich visualisiert. Auf schwarzem Grund bewegt sich eine weiße Kreisformation, welche aus einer schwer zu überblickenden Anzahl einzelner Kreise hervorgeht. Aus weiter Entfernung zum Bild kann das Auge unmittelbar in die Absolutheit und damit auch die „Ewigkeit“ des anhaltenden Tons blicken.

Für Frank Tangermanns Arbeiten ist es nicht notwendig, aus den Händen eine Art Fern­glas zu formen, um die „leere Stelle“ zu fokussieren; vielmehr bündeln seine Bilder unseren Blick, lassen die Umwelt vergessen und führen uns durch den Blick zurück zu uns selbst.

Nach einem Text von

Myriam Naumann

1 Zitat: M. L. Kaschnitz „Orte. Aufzeichnungen“