Zu Anfang war der nackte Stahl. Stumpf und matt in seiner Erscheinung, platt und eckig in seiner Form. Doch er sollte leben.

Die Stahlplastiken von Ulrich Krämer wirken kraftvoll und erzählen Geschichten von Emotionen und Härte, Natur und Industrie, Trennung und Verbundenheit.

Dabei soll der Betrachter in seiner Inter­pretation nicht vom Titel beeinflusst werden. Ulrich Krämers Werke sind alle unbenannt, und das aus gutem Grund: Die subjektive Wahrnehmung des einzelnen Indi­vi­duums führt zur persönlichen Inter­pretation und Reaktion auf die vom Künst­ler erschaffenen Formen und Oberflächen. Durch die Objektivität der Titellosigkeit kann eine Plastik so von dem Betrachter erfasst werden, wie sie tatsächlich auf ihn wirkt und was sie für ihn persönlich darstellt. Für den einen spiegelt sie eine tiefe Verbundenheit wider, für den anderen hingegen ist sie ein Exponat voller Gegensätze und kontroverser Kräfte. 

Ulrich Krämer erarbeitete sich bereits in jungen Jahren diese Art der Kunst durch seine Ausbildung und Tätigkeit bei dem Bildhauer Herbert Lungwitz. Er machte sich danach als „Stahlmetz“ selbstständig und beschreibt seinen künstlerischen Schaffens­prozess mit den Worten: erschaffen, zerstören und umwandeln. So kann es auch passieren, dass Plastiken, die er vor Jahren bereits glaubte fertiggestellt zu haben, plötzlich neu in sein Sichtfeld gelangen und er sie weiter bearbeitet bzw. umwandelt.

Seine Arbeiten beginnt der Künstler meistens mit einer großen Blechplatte, die er mit Hilfe eines Plasmaschneiders zerkleinert. Mit unterschiedlichen Werkzeugen der Schmiedekunst startet er dann die Ver­än­de­rung des Objekts. Dabei hat Ulrich Krämer bereits vor Arbeitsbeginn eine genaue Vorstellung der wachsenden Plastik. Eine breite Auswahl an Instrumentarien steht ihm dabei zur Verfügung, meist in mehrfacher Anzahl. Denn nichts ist für einen Künstler schlimmer, als die Unterbrechung seines Schaffens durch morbides Rüstzeug.

Seine Werke spielen mit teils realistischen und teils surrealistischen Formen.

Der Trick besteht unter anderem auch darin, dass die Formen, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick auch wirken, denselben gegenständlichen Ursprung haben können. Sie wurden durch eine besondere Art der Schweißtechnik so verändert, dass sie für den Außenstehenden nicht mehr wieder zu erkennen sind bzw. nur noch zu erahnen.

Die filigran gestaltete Art der Oberflächen entsteht durch das Abschmelzen eines Elek­trodenstabs, der das Metall durch Ver­schmelzung zerstört und gleichzeitig metamorphosiert. Das harte Metall erweicht und bildet neue, ungeahnte Formen, welche die besondere Wirkung der Plastiken vollenden. 

Zaghaft umreißen die Schweißnähte die dunklen oder auch rostroten Oberflächen und scheinen damit tiefe Furchen des Lebens nachzuahmen. Denn sie sind nun keine massiv in Erscheinung tretenden Kinder der Stahlbearbeitung mehr.

All diese Techniken und Vorgehensweisen haben dazu geführt, dass die Härte und die Belastbarkeit des Materials gleichzeitig weich und verletzbar erscheinen. Die Werke erhalten einen Eigensinn und eine lebendige Ausstrahlungskraft. Beides kann sich bei einer Wendung des Objektes drastisch verändern. Dies ist eine gewollte Eigenschaft der Plastiken von Ulrich Krämer. Sie sind nicht nur aus einer Perspektive zu betrachten, sondern lieben es, in ihrer Position verändert zu werden. Wenn die Form in einer anderen Perspektive erscheint, so erhält sie zugleich neue Eigenschaften und bietet dem Betrachter neue Wege und Mög­lich­keiten der Interpretation.

Schwungvolle Dynamik und einprägsame Muster lassen die Werke in sich selbst verlaufen. Kein Kampf mit dem Material ist mehr zu erkennen. Sind die Werke in der Natur platziert, so fügen sie sich mit ihr zusammen und einen sich, um nonchalant dem Betrachter die Vergänglichkeit des Ganzen vor Augen zu führen. Aber auch die Schönheit und die Eleganz, die zeitgleich von den Arbeiten ausstrahlt. All diese Dinge machen die Stahlplastiken von Ulrich Krämer einzigartig und lassen sie im Raum zeitlos wirken.

 

Christin Holzwarth

 

 

 
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