Simona Deflorin -

liebevolle Monstrositäten

Während erhitzte Debatten über Sinn oder Unsinn von Busenvergrößerungen durch Si­li­konimplantate geführt werden, wird meist übersehen, dass die meisten Men­schen in den Wohlstandsländern das eine oder an­dere Angebot einer umfangreichen körpergestaltenden Industrie nutzen oder genutzt haben. Viele von uns haben Span­gen zur Zahnkorrektur getragen, viele besuchen Fit­ness-Studios, treiben Sport eher um eines ästhetisch definierten Resultates als um der Gesundheit willen, lassen Warzen entfernen, sorgen bei Verwundungen für saubere Vernarbung. Manchmal beginnt die Eli­mi­nation unperfekter Körperlichkeit sehr früh – werdende Mütter können als Defekte verstandene Körpereigenschaften ihrer Em­bryonen dank pränataler Diagnose­metho­den im Anfangsstadium der Schwanger­schaft erfahren; stellt die Diagnose etwa ein Downsches Syndrom fest, treiben die meisten Schwangeren ihre Frucht ab. Das ist nicht erstaunlich in einem sozialen Klima, in dem gemäß Untersuchungen Menschen mit schadhaften Zähnen grundsätzlich ­we­ni­ger als die Hälfte jenes Vertrauens ­ge­schenkt wird, das man Menschen mit ge­sun­den, weißen Zähnen entgegenbringt.

Es scheint, dass körperliche Versehrtheit ein letztes Tabu der zivilisierten Menschheit ist. Sie geht einher mit gesellschaftlicher Miss­billigung, die im gleichen Masse zunimmt wie die medizinisch-technischen Mög­lich­keiten zur Standardisierung der Körper­ober­­flächen und leidet somit zunehmend nicht nur an sich selbst, sondern auch unter gesellschaftlicher Ächtung. Der alte Begriff „Aussatz“, der ja die gesellschaftliche Reak­tion auf die Krankheit – das soziale Aus­setzen der Kranken – bezeichnet und nicht die Krankheit an sich, könnte in diesem Zusammenhang ohne weiteres auf moderne Zivilisationskrankheiten angewendet werden.

Mit ihren Bildern über körperliche Miss­bil­dungen und sichtbare Krankheitssymptome reiht sich Simona Deflorin in eine lange Reihe spiritueller Heiler ein, die sich liebevoll der Kranken und Verunstalteten angenommen haben und sich so der gesellschaftlichen Tendenz zur Ausgrenzung des Abnormen entgegengestellt haben. Indem sie die körperlichen Monstrositäten sorgsam, in beinahe aquarellhaft verdünnten Farben, abbildet, nimmt sie die betroffenen Menschen in den Schutz ihrer künstlerischen Arbeit und erneuert zugleich einen in allen Künsten als veraltet angesehenen Appell: Jenen zur sozialen, letztlich politischen Verantwortung der Kunst. Ich halte das für bedeutsam. Während die Künste aller Sparten im „anything goes“ der Post­moderne das Scheitern programmatischer politischer Ansätze mit der Unmöglichkeit sozialen oder ethischen En­ga­gements in der Kunst verwechseln, geraten sie in die Sack­gasse der Selbst­be­spie­ge­lung, in die Aporie, in der jedes Kunstwerk sich immer neu aus sich selbst heraus erfinden muss. Simona Deflorin bricht diese Aporie auf, indem sie sich mit ausschließlich künstlerischen Mitteln, ohne jede vordergründige Meta­phorik oder Program­ma­tik, in einen aktuellen gesellschaftlichen Diskurs einreiht. Dabei sucht sie die zärtliche Geste in der Malerei, die wir bereits von ihren „Fadista“-Bildern her kennen, und schließt durch diese und durch die Sorgsamkeit der Bild­aufbauten jeden Voyeurismus aus. Ich kann mir schwer vorstellen, dass Simona Deflo­rins Impetus in einem christlichen Kontext steht; dennoch liegt die Verwandtschaft mit dem Gedanken der „Compassion“, die der Theologe Johann Baptist Metz – als konsequente Weiterentwicklung seiner Idee einer „Autorität der Leidenden“ – neulich als Kernstück einer aktuellen christlichen Haltung entwarf, auf der Hand.

So erneuert und belebt Simona Deflorin in ihren Bildern die Diskussion um die Frage der ethischen und sozialen, letztlich der menschlichen Verantwortung der Kunst in der Gesellschaft.

David Wohnlich, März 2009